Schauen wir mal was die Bücher sagen. Oftmals ist das Problem beim Lesen eines Fachbuches, dass was im einen steht, in einem anderen Buch widerlegt wird oder eine ganz andere Ansicht über das Thema herrscht.
Beim Durchlesen mehrerer Bücher bin ich auf dieses Buch gestossen: „Auszeit auf Augenhöhe / Mensch-Hund-Spiel / Kleiner Einsatz mit grosser Wirkung“ von PD Dr. Udo Ganslosser und Mechthild Käufer. Dieses Buch ist eine Zusammenfassung von weit über 30 Autoren (Wissenschaftlern), wobei ein grosser Teil von Marc Bekoff ist. Bei soviel Wissen sollte ich doch gut beraten sein, ja das Buch ist eine interessante Kiste.
Hier meine Zusammenfassung mehrerer Bücher und meiner persönlichen Erfahrungen. ...
Der Biologe Marc Bekoff ist der Auffassung, dass bei sozialen Tieren die natürliche Selektion Betrüger aussortiert also jene, die nicht nach den ausgehandelten und akzeptierten Regeln spielen. Im Gegensatz dazu überleben und gedeihen Tiere wie Menschen besser, wenn sie fair spielen und den Moralkodex für das Verhalten in ihrer Gruppe lernen. Mit seiner Spekulation, dass sich mitfühlende Tiere erfolgreicher fortpflanzen und somit besser überleben, hatte Darwin vermutlich recht.
Im Spiel lernen Wolfswelpen schon Fairness und Kooperation und was erlaubt ist und was nicht. Sie erfahren, dass die Möglichkeit besteht, verletzt zu werden, wenn sie sich nicht an die Regeln halten und dass ihr Gegenüber die Lust am Spiel verliert, wenn sie zu rauh und rücksichtslos sind. Ein wichtiges Merkmal des Spiels ist die Selbstkontrolle. Jungtiere lernen beispielsweise im Spiel, wie fest sie zubeissen dürfen. Erwachsene Wölfe können eine Beisskraft von 150 Kilonewton entwickeln, also bis zu 1,5 Tonnen pro Quadratzentimeter. Das ist die doppelte Kraft eines normalen Hundes. Grund genug also, diese Kraft zu drosseln. (Auszug aus dem Buch von Elli Radinger „Die Weisheit der Wölfe“)
Soziales Spielen
Sozialspiel, darauf weist Marc Bekoff immer wieder hin, ist wegen seines sicheren Umfeldes und der fehlenden Zielgerichtetheit ein einzigartiger Freiraum, der die Möglichkeit bietet, neues Verhalten auszuprobieren und immer wieder anders und neu zu kombinieren. Dieses variantenreiche Experimentieren und Ausprobieren erlaubt eine Kreativität und Flexibilität im Verhalten, die es ausserhalb des Spiels nicht gibt. Deshalb fördern die im Spiel mit ihnen gemachten vielfältigen Erfahrungen die mentale Flexibilität, Kreativität und insgesamt die kognitive Entwicklung und Sozialisierung gerade ihres Welpen. (Paladin 2006/Burghardt 2005/Fredrickson 2004/Spinka et al.2001) Spiel ist so ein optimaler Lernkontext. Das hat mehrere Gründe. Der wichtigste Grund ist, dass Spiel nur in einem sicheren Umfeld auftritt, d.h. Grenzüberschreitungen und Fehler keine Konsequenzen ausserhalb des Spiels haben, was das Ausprobieren und Variieren im Spiel erleichtert, eine Voraussetzung für Lernen. Ein Hundewelpe weiss nicht, wie fest er zubeissen kann, ohne dem anderen Hund oder dem Menschen weh zu tun. Würde er im Ernstkontext - also ausserhalb des Spiels – das Beissen üben, hätte das üble Konsequenzen für beide Seiten, wie Verletzungen, langwieriges Meideverhalten oder gar sozialer Ausschluss. Es braucht also einen Freiraum wie das Spiel, in dem geübt werden kann, ohne dass echte Konsequenzen befürchtet werden müssen.
Ein wichtiges Merkmal des Spiels, das wesentlich zu seinem Reiz beiträgt, ist seine Unberechenbarkeit. Die Neugier (aktiviert die Belohnungszentren im Gehirn und führt zur Ausschüttung der Lerndroge Dopamin), als wichtiges Element jedes Spiels, sorgt zusammen mit den anderen Bestandteilen eines ausgewogenen Sozialspiels dafür, dass im Sozialspiel all die Dinge gelernt und trainiert werden, die für das Zusammenleben wichtig sind: z.B. Die Fokussierung auf den Spielpartner (Aufmerksamkeit), die nuancierte Kommunikation (kommunikative Kompetenz), der Rollenwechsel (Empathie) und das Selbsthandikap (Selbstkontrolle). Spiel beugt Stress aber nicht nur vor, indem es den Umgang mit nicht vorhersehbaren, potentiell stressigen Ereignissen erleichtert, sondern es kann auch vorhandenen Stress dämpfen. Spiel wird von sozial lebenden Tieren zum Abbau von Spannungen und nach kurzfristigem Stress eingesetzt. (Held&Spinka 2011)
Stress steigert den Cortisolspiegel und die im Spiel produzierten Neurotransmitter, z.B. Oxytocin und die Endorphine sind natürliche Gegenspieler des Cortisols. (von Frijtag et al.2002)
Spiel ist kein Jagdtraining
Anders als Wissenschaftler, für die viele Funktionen des Spiels noch nicht geklärt sind, glauben manche Laien zweifelsfrei zu wissen, welchen Nutzen das Spiel für Jungtiere hat: Im Spiel bilden die Welpen eine Rangordnung und trainieren das, was sie als erwachsene Hunde brauchen, in erster Linie also „Jagen“ und „Kämpfen“. Was scheinbar so offensichtlich ist, stimmt trotzdem nicht. Obwohl Biologen zwischen dem solitären Objektspiel und dem Beutefangverhalten kleiner Beutetiere tatsächlich Ähnlichkeiten (nicht Übereinstimmung) sehen, zeigen Welpen alle Elemente des Beutefangverhalten bereits im Ernstkontext, bevor diese Verhalten im Spiel auftauchen (Fox 1969).
Und Kojoten, die viel spielen, waren deshalb keine besseren Jäger (Vicent&Bekoff 1978).
Für mich ist klar, dass Tiere nach ihren vorgegebenen Anlagen spielen. Da der Hund vom Wolf abstammt, werden es sicher Spiele sein, die einem Beutegreifer im Alltag nützlich sind.
Spiel ist keine Rangordnungsrangelei
Auch die so einleuchtend klingende Behauptung, das Hundewelpen im Spiel die Rangordnung etablieren, wird nicht durch Daten gestützt, auch wenn Junghunde mit zunehmendem Alter – genau wie Menschenkinder – durchaus statusbewusster werden (Bauer&Smuts 2007/Smith 2015).
Sie suchen sich ihre Spielkameraden entsprechend sorgfältig aus und lernen im Spiel natürlich, wie sie mit den unterschiedlichen Rassen, Persönlichkeiten und Temperamenten der Wurfgeschwister oder anderen Welpen umgehen müssen.
Im echten Spiel gibt es dagegen kein ausserhalb des Spiels liegendes Ziel, deshalb scheint das Verhalten im Spiel funktionslos, sinnreicher oder albern. Gespielt wird ausschliesslich, um Spass zu haben und das so lange wie möglich. Deshalb muss im Sozialspiel dafür gesorgt werden, dass auch der Spielpartner genug Spass hat und in Spiellaune bleibt.
Spiel- versus Ernstverhalten
Das Spielverhalten unterscheidet sich vom Ernstverhalten durch ein „als ob“-Verhalten. Im Spiel wird nur so getan „als ob“ man kämpft oder jagt. Das wird beispielsweise daran erkennbar, dass die Spieler nur sehr gehemmt angreifen, sie beissen z.B. nur in die Luft oder knabbern nur am Fell und sie verteidigen sich nur sehr ineffektiv. Im Jagdspiel wartet der Flüchtende so lange, bis der Verfolger ihm nah genug kommt und rennt erst dann weiter, usw.
Möglich ist diese kreative, variable Kombination und Variation der Verhaltensbruchstücke, weil Verhalten im Spiel die Zielgerichtetheit, die Endhandlung und der Ernstbezug fehlen (Meyer-Holzapfel 1956) und die Spieler aus einem viel grösseren Verhaltensrepertoire auswählen können.(Bekoff 2014a) Auch ist Spiel kein Wettbewerb.
Selbstbewusster durch Spiel
Die Bewegungen im Spiel ahmen natürlich Bewegungen ausserhalb des Spiels nach, aber in übertriebener Weise. Diese Bewegung wirkt sich nicht nur auf die körperliche Kondition, sondern auf das Selbstbewusstsein des Hundes aus. Durch die sehr unterschiedlichen Bewegungen, in ganz verschiedenen, auch herausfordernden Situationen, lernt der Hund seine körperlichen Stärken und Schwächen kennen und erweitert sein motorisches Verhaltensrepertoire. Bei der Suche nach der Funktion vom Spiel fanden Byers und Walker heraus, dass die Zeiten, in denen Jungtiere am meisten spielen, mit den sensiblen Phasen der Gehirnentwicklung zusammenfallen. Dies gilt besonders für die Synapsenbildung im Kleinhirn, das für die Feinsteuerung und Koordination von Bewegungen zuständig ist. Die Bewegung im Spiel unterstützt deshalb vermutlich dessen Entwicklung und den Aufbau von Muskelnfasern und den als Spannungs- und Stellungsmessfühler wirkenden Muskelspindeln. (Bekoff & Byers 1981, Byers & Walkers 1995, Byers 1998)
Neben dem Spass, bereitet das Spiel die Jungtiere auf das Leben vor. Nur im Spiel kann jede Rolle eingenommen werden und sich ein Gefühl für die verschiedenen Situationen entwickeln. Durch diese Wahrnehmung hat das Tier ein Potenzial, sich weiter zu entwickeln.
Spiel im sozialen Kontext
Das Spielen ermöglicht dem Hund, zusammen mit seinem Halter Risiken einzugehen, die ihn ausserhalb des Spiels überfordern würden und so kann er mit der Ermutigung durch seinen Halter über sich hinauswachsen. (vgl. Auszeit auf Augenhöhe)
Die einzige Regel des Spiels ist, dass es ein Spiel ist. Im Spiel können Sachen auch mal ausprobiert werden.
Bei den Spielaufforderungen gibt es ganz viele verschiedene Möglichkeiten:
in unterschiedlichem Tempo und mit Richtungsänderung auf einen anderen Hund zu rennen
mit einem Gegenstand zwischen den Zähnen, provozierend und stolzierend vorbei laufen
Nimmt das Gegenüber die Spielaufforderung nicht an, gibt es kein Spiel. Gespielt wird sehr oft mit übertriebener Mimik (Spielgesicht) und Gestik. (Sie lassen sich zu Boden fallen, als würden sie gleich sterben) Die verschiedenen Bewegungen / Bewegungsabläufe / Verhalten usw. sind abhängig davon,wie der Welpe spielen gelernt hat, von der Rasse, abhängig davon wie die Spiele zwischen Mensch und Hund aussehen, usw.
Zuerst ist es ein Zerrspiel um einen Stock, daraus wird ein Laufspiel und der Stock hat keine Bedeutung mehr. Spielen hat kein Ziel, es entwickelt sich nach den Ideen der Mitspieler. Die Rollen können jederzeit gewechselt werden, zwischen Jäger und Gejagtem, zwischen wer dominiert von oben und wer liegt unten. Damit alle Spass haben, muss gelernt werden, mit Handicap zu spielen. Wenn der 90 kg Mann mit seinem Rehpinscher ein Zerrspiel macht, muss er seine Kraft dosieren, dass es auch dem Rehpinscher noch Spass macht. Im Laufspiel wird ein mittelgrosser Hund nie mit vollem Tempo davon laufen, weil sich sonst sicher nie ein Spiel mit seinem Frauchen entwickeln wird.
Das Eskalationsrisiko, dass das Spiel in einem Kampf endet liegt zwischen 0 – 5 %. Hauptgründe: keine Sozialkompetenz / keine Grenzen gesetzt bekommen. Mit solchen Hunden hat niemand Interesse zu spielen.
Die Spieldauer / Spielbegnungen von Hunden sind häufig viel kürzer als menschliche Regelspiele und gerade die Mensch–Hunde-Spiele, die sich aus Alltagssituationen ergeben, sind spontan aber kurz. Bei Welpen und Junghunden dauern sowohl Objekt- als auch Sozialspiele häufig nur Sekunden bis Minuten, meist im Bereich zwischen 10 und 30 Sekunden. (Günther 2009, Heine 2000)
Spielen ist nichts für Kontrollfreaks. Es gibt Hunde deren Interesse ist es nur, ein Spiel zu unterbinden. Bei den Menschen ist es genau so. Chefs, die nur bestimmen können, können nicht spielen. Beim Spielen muss man sich auf das Gegenüber einlassen, es ist ein gemeinsam etwas Tun und kein Delegieren, dass jemand etwas tut. Ein Spielzeug einige male irgendwo hinwerfen, mit der Aufforderung, der Hund soll es holen und bringen, hat nichts mit spielen zu tun. Genauso Agility, Hunderennen usw., hier geht es um die Interessen der Menschen. Wie gesagt - Spiel ist kein Wettbewerb!